2019-09-14 #kurzkritik #theater

Großes Haus Volksbühne
Eine Odyssee [Uraufführung]
nach Homer, neu erzählt von Thorleifur Örn Arnarsson und Mikael Torfarson
12.9.19 19:00 Reihe 23 Platz 7
EUR 13,00

»Every September the city has that nervy crisp air, that new season briskness: new films in the theaters where after a season of explosions serious black and white actors have sex against the odds and subplot of a crumbling apartheid regime, the new concert season led by exciting new conductors with wild floppy hair and big capped teeth premiering new repertoire featuring the debuts of exciting new soloists of obscure nationalities (an Ashkenazi/Bangladeshi pianist accompanying a fiery redheaded Indonesian violinist in Fiddler on the Hurūf), new galleries with new exhibitions of unwieldy mixedmedia installations (Climate Change Up: a cloud seeded with ballot chad), new choreography on new themes (La danse des tranches, ou pas de derivatives), new plays on and off Broadway featuring TV actresses seeking stage cred to relaunch careers playing characters dying of AIDS or dyslexia.« [1]

Ein großes Wiedersehen vor der Volksbühne nach den Ferien. Die allgemeine Rückkehr in die Städte, that new season briskness. Die Karten warten an der Abendkasse, bezahlt noch vor dem Urlaub, vorletzte Reihe, der Vorhof der Heiden. Die Haut schuppt über dem Knöchel und wartet auf Bier, ich rieche an den frischgedruckten Programmheften.

Das Ensemble exerziert auf der Bühne, deklamiert Kadenzen, prononciert, über abgehackte Hände. Die betonen und vertonen die Sprache, da drei Musiker hereingeschoben werden auf einem vollgestellten Podest, die vergessen lassen, dass Brandt Brauer Frick erst am 3. November dran sind. Die Bühne dreht sich, es wird lauter, die Gesten, der Chor und die Instrumente steigern sich, neben mir steht wer auf und geht und kommt nicht wieder. Irgendwann macht es ›klick‹, der Sync. Ich bewundere die sich drehende makeshift-Hütte der Penelope aus ein paar Holzlatten, umwickelt mit durchsichtiger Plastikfolie. Das Licht und die hautfarbenen Binden, die den Chor kleiden in seiner Choreographie.

Eine Mauer aus Kartons – wie sie den Innenhof der Neuköllner Oper füllte – wird als Vorhang herabgelassen und fällt schließlich in den Bühnenraum. Großformatige Effekte wie das Triptychon bei ›Hunger. Peer Gynt‹ im DT. Eben, vor dem Eingang, parkte ein Tesla, hier wird ein durchlöcherter Panzer auf die Bühne gerollt. Schriftzüge werden entrollt wie Wandtattoos. Den zu dreiviertel enthüllten Schriftzug »die Leere der verlorenen Utopie« nahm ich mit aufs Pissoir; ein White Cube, aus dem mir sonderbarerweise gar keine Schriftzüge, keine Aufkleber, nicht ein gekritzelter Strich erinnerlich sind, stattdessen weiße Wände, weißes Pissoir und ich dachte, dass letztbeste sei doch, dass wir (endlich) blind sind, blind für jede Utopie, schlechthin für jegliches Fragliches, für Fragen, dass wir nichts wissen und nichts hoffen müssen; dass wir, wie Odysseus, einstweilen ein ›Niemand‹ seien.

Nach der Pause: Bequeme poltrone. Ich dachte an ein wirklich gutes Stück, dass damals kurz vor dem Abitur bei uns an der Schule aufgeführt wurde. Der Schriftzug: so unimportant.

Was nicht vorkam: ein Rosinenbomber. Und doch könnte der Rosinenbomber der missing link sein.

[1] Joshua Cohen, Book of Numbers. Vintage, London 2016, S. 12.