2018-10-27/28 #kurzkritik #theater

DT
Hunger. Peer Gynt
nach Knut Hamsun/Henrik Ibsen
in einer Bearbeitung von Sebastian Hartmann und Ensemble
26.10.18 20:00 Reihe 6 Platz 10 Parkett Rechts
EUR 6,00

Ich ging in diesen Abend ohne Vorhaltungen, ohne Erwartungen, wusste nicht einmal, von wem dieses Stück Peer Gynt sei. War auch spät angekommen (saß aber gut). Kunstnebel auf der Bühne. Der Hinweis in den Übertiteln, die Reihenfolge der Szenen sei improvisiert. Die Reihen dicht besetzt. Der Projektor und zwischen den Polstern wird es warm.

Der Beginn beliebig; Nebel und Irrlichtern. Zuletzt zweimal in Lenz und Holozän gesehen, ohne Zutun – hier nun jedoch rastete ich allmählich ein, der Sync gesetzt und ich lief mit, mittendrin war ich fully into it – EccCE, ich hab alles hab ich eingesehen, & den Mund weit aufgerissen – erst hinten heraus lief es mir dann wieder gleichgültig an mir vorbei.

Der Begriff
brainstorming als zutreffende Beschreibung der Bewegungen der ersten Akte – letzthin wurde ein 4. angesagt –, mit der Betonung auf storm (auch im Sinne der Werke von Storm Thorgerson). War nicht das Bühnenbild in seiner ersten Projektionsebene ein Mahlstrom? Speiste nicht auch die Soundkulisse Rauschen ein? So sich in Kantes ›Ich hab’s gesehen‹ die Sprachbilder elementar türmen (»das Wasser in den Flüssen aufwärts ziehen«) [1], nur hier – wie in Tocotronics ›Hi Freaks‹ [2] – sie filigraner kreiseln (zoom out/opt in). Die Reihungen reihen sich aneinander an (und ab). [Die Scharte wetzte sich der Katholik/müde Finger kreisen um das Abflusssieb und fingern/Funken graue Asche, Flusen aus dem Bauchnachbabel.] Auch stream of consciousness natürlich. Es wurde kein Holz geschlagen.

War dies eine Strategie der Überwältigung? Nein, auch die sprachlichen Ausführungen, leise gesprochen, zeichneten sich ab, nicht monumental sondern mit dem
Bleistift »wie ein kleiner Mensch«, Striche wie eine erlahmte Stechmücke, die noch im kalten Herbst meine weißen Wände sinnlos anstarrt, bald starr die Beinchen von sich streckt.

Auch gleich der Gedanke: Fever Ray. [3] Die Musik,
die Lichtinstallationen – die beiden kaltweißen Neonröhren am rechten und linken Bühnenende –, die Masken, die Skandinavistik (mir nach), der Nebel, die Ästhetik. All boxes ticked: I checked. (2009 sah ich einen Auftritt, da(s) hat sich mir da(s) eingeprägt.) Die Lichtinstallationen, das Halblicht, die Schemen, das war wirklich schön – das sieht man nur in echt, nicht am Screen, diese Schattierungen.

Das Triptychon: der monumentale Moment wie die Leinwand dreigeteilt und im Interlude (der offenen Pause) gewendet wurde (auf den Kopf gestellt). Davor, as if he was dancing to exhaust it, zur Erschöpfungsbewegung, ein Arbeiter – aus dem Trio, das ich schon in König Ubu in der Box des Deutschen Theater bewundert habe (hier nur zu zweit, wenn ich mich richtig erinnere an gestern) –, der nun, so dachte ich, drauf und dran war, in die Leinwand zu springen (was aber zu sehr action painting wohl gewesen wäre, nach Art Bruts »and run at it!« [4]). The ›joy of painting‹, ja auch, aber paint it black (and paint it white & grey). Begleitet von monumentalen Klängen ähnlich jenen zwischen Kubrick und Warsteiner. Strauss – Ein Bombasmus: wie die Sprache die hochmodernen Sprachschwierigkeiten abtickte – kurz-lang, lang-lang-kurz –, so kreiste die monumentale Leinwand einen Walzer auf der Bühne.

Die brachiale Musik, der brachiale Sound. Einmal, vielleicht ein Fehlgriff (und wieder gingen viele Alte), wurde ein hartes Trap-Rap-Sample eingespielt.

Die
schwarze Spitze, die Masken, die weiße Spitze, die Tattoos, die Bemalungen. Goth Chic? Fun, nur einen upbeat jogwheel turn weiter, wäre vielleicht die Brechung durch Health Goth gewesen. Vielleicht ein bisschen Chairlift?

Dass der Regisseur zuvor Ulysses inszeniert hat, passt, denn das geht hier so weiter (ja, Chairlift, das wär doch was: »Is it amnesia?/Amanaemonesia/Mistaken for magic«) [5] (ich hielt eben aber auch Friedrich Liechtensteins ›Badeschloss‹ für passend) [6]
– Regen, die Monologe habe ich vergessen, aber schön. Ich hielt auch Terrence Malicks Knight of Cups [7] für den besten Film als ich – Berlinale 2015 – aus dem Friedrichstadt-Palast kam. Bildergewitter, wie auf rosebud durch den Geburtskanal schießend: »Guardate che vista« (lo spot durex anni 2000 su MTV). [8]

»[I]ch suche
nach einem theatralen Ereignis«, sagt Sebastian Hartmann im Programmheft (S. 17).

Die überlangen Zylinder – war ich gleich bei Neo Rauch auf der Leiter, hinabgestiegen von seinen Gemälden.

In ihrem Monolog lachte ein älterer Mann auf – nicht eben freundlich –, er stand dann auch recht bald auf und ging durch die Reihe die Tür hinaus.

Ich will es mir nochmal ansehen, auch die Texte – Hamsuns Hunger, Ibsens Gynt
lesen, grinden, ergründeln, Mahlstromgrund flundern.

Das Atelier als Ort des 19. Jahrhunderts.

[1] https://youtu.be/SVKjqVEYZrY?t=113
[2] https://youtu.be/RT2JpHTqfGE
[3] https://youtu.be/ZC6rSp_6fGc
[4] https://youtu.be/eP6nY-112Xc?t=106
[5] https://youtu.be/98XRKr19jIE
[6] https://youtu.be/RPeR00sov00
[7] https://youtu.be/OOd_m75Mb2k
[8] https://youtu.be/kbgqYph-zGc