Hans Kruschwitz' Kritik an Christian Krachts »totale[r] Ironie« in der aktuellen Ausgabe des Merkur [1] bietet die eine oder andere Anregung um auf Faserland zurückzukommen.

Zum einen ist es ärgerlich, dass jene Deutung, wonach das Ende von Faserland als Suizid anzunehmen sei, als Tatbestand referiert wird – »der Schnösel, der hier vom äußersten Norden bis in den äußersten Süden Deutschlands reist, um in der Schweiz Selbstmord zu begehen«, wie Kruschwitz unterstellt. Dabei fragt die Hauptperson auf der letzten Seite des Romans schließlich nur einen in einem Ruderboot an einem Schiffsanleger dümpelnden Mann, ob er ihn »auf die andere Seite des Sees rudern würde«. Nachdem dieser einwilligt, heißt es weiter: »Ich steige ins Boot und setze mich auf die Holzplanke, und der Mann schiebt die Ruder durch diese Metalldinger und rudert los. Bald sind wir in der Mitte des Sees. Schon bald.« [2] Mit diesen Sätzen endet der Roman.

Man kann dieses offene Ende als Verschwinden deuten, als ein Sich-Verlieren in der Mitte des Zürichsees, aber vielleicht auch als Umkehr der Reiserichtung, als begonnene Rückkehr (gen Norden, vielleicht auf jenen anderen See, den Bodensee, weisend), doch bleibt es letztlich unbestimmt. Der Protagonist rudert nicht selbst, aber vielleicht mag auch so die Tätigkeit des Ruderns dem einfacheren Motiv des ›Gang ins Wassers‹ (vom Ufer aus, von einer Brücke) widersprechen. Auch verwiese die Rudertätigkeit vielleicht auf die alle Werke verbindende »Motivation des Autors« Kracht, als welche Kruschwitz »Trauerarbeit zu leisten« ausmacht – wie viele Autor_innen im Nachgang zu Krachts Frankfurter Poetikvorlesungen, siehe etwa Felix Stephan in der SZ vom 16. Mai 2018 unter dem Titel ›Christian Kracht. Leiden und Werk‹. [3] Der Protagonist besucht den Friedhof von Kilchberg, sucht das Grab Thomas Manns, findet es nicht und steigt dann den Hügel hinab zum Seeufer. Dann wäre vielleicht der Friedhofsbesuch der Schlusspunkt der Trauerarbeit und das Zurückrudern schon ein Aufbruch zu etwas Neuem, ein Teil des Rückwegs (auch wenn dieser in sospeso, ›in der Schwebe‹ bliebe). – Dies sind alles nur Interpretationen – Das Bild des hiatus, der Schwebe/Aufhebung – gleichzeitig der Kluft und wie man sie (aus)fülle – ist dann am eindrucksvollsten in Imperium zu finden; in der memorablen Szene, in der der hoffnungsfrohe, baldgetraute Lützow beim lässig-eleganten Sprung über die Reling, von einem Oberdeck auf das danebenliegende, abrutscht und im Zwischenspalt zwischen zwei Schffswänden zermalmt wird.

Kruschwitz gebraucht zweimal den Begriff »Formverlangen« für Krachts Erzählstil. Das scheint passend und ich frage mich, in welchem Spannungsverhältnis der Begriff mit jenem des ›Erfahrungshungers‹ stehe. Dabei denke ich an eine andere ›Deutschlandreise‹, jene Wanderung Michael Holzachs von Hamburg an den Bodensee und zurück im Jahr 1980, die in dem Buch Deutschland umsonst seinen Niederschlag fand, an die Bedeutung, die auch hier die Internatsjahre spielen. Und an weitere, immer leicht abgründige Erzählungen und Verfilmungen des Genres Gehen/Reisen durch D. (Werner Herzogs Vom Gehen im Eis, Peter Fleischmanns Die Hamburger Krankheit).

Die unvermittelten NS-Bezüge in Faserland, die Kruschwitz zur »Methode Kracht« zählt, wären vielleicht noch einmal gewinnbringender an jener Stelle zu vertiefen, wo die Beziehung zu Uwe Kopf, der in Faserland als »ein ziemlich harter Nazi« (siehe untenstehenden Eintrag vom 1.5.18) bezeichnet wird, sich andeutet, die Kurzschlüsse von Fiktion und Kommunikation, ihr double-bind mit realen Personen. (Ich weiß nichts davon.)
»Trauerarbeit« und »Formverlangen«, also; dazu die Brechung, der Einbruch. Kruschwitz spricht von »Doppelbindungen«.



2018-08-08
literaturen, interpretation,
faserland

[1] https://www.merkur-zeitschrift.de/2018/07/25/wollt-ihr-die-totale-ironie-warum-christian-krachts-texte-nicht-harmloser-geworden-sind/
[2] Christian Kracht, Faserland. 16. Auflage München 2013, S. 158.
[3] https://www.sueddeutsche.de/kultur/christian-kracht-in-frankfurt-leiden-und-werk-1.3981865