Angélica Liddells zweiter Teil einer Trilogie der Unendlichkeit war am Samstagabend beim Festival Internationale Neue Dramatik [1] an der Schaubühne zu sehen. 5 Stunden nackte Körper, Schönheit und Grauen, Visionen und Ästhetik, in langen Monolog-Tiraden und streng choreographierten Gruppenbildern.

Es endete verstörend versöhnlich zwischen Feuer, Pisse und Gold im Garten Eden nach einem Vorlauf voller Verdammnis: im All nur Leere, keine Lehre, nur infame Niedertracht, ohne Erlösung, im Körper nur Fett, Wasser und Blut. Und es wurde auch nachgeschaut: »der Mord des japanischen Gaststudenten Issei Sagawa an seiner Kommilitonin Renée Hartevelt im Jahr 1981, deren Leichenteile er im Anschluss kochte und verspeiste« [2] diente als Anlass die Glieder zu öffnen und wurde als Referenz, als Sujet immer wieder eingepflegt. In allen Löchern wurde nachgeschaut: mit Körpertechniken, die 4 tote Oktopusse sowie weitere lebende und tote Fische involvierten, wie der ungläubige Thomas den Finger in die Wunde legte. Übungen, Stochern nach der Seele – deren Entdeckung doch alle abschrecken würde – in Wimmelszenen, strenge Zeremonien, zwischen oben und unten, Erschöpfung und Ekstase, aufgeführt von dem achtfachen Kollektivsingular der toten Studentin versus und vis-à-vis der dreifachen Ausgabe des japanischen Studenten.

Toll: Techniken, Kostüme, Choreographien und Ton. Die Fanfarenstöße machten dort weiter, wo der bei der diesjährigen Berlinale gezeigte An Elephant Sitting Still in seinem Schlussbild aufgehört hatte: dem befreienden, durchdringenden Trompetenstoß des Elefanten. Mythisch zu werden forderte Liddell in ihren Monologen, in ihren unwidersprochen bleibenden Elogen der Gewalt, des Ekels, die sich zunehmend aufrieben / abnutzten. Der Rekurs auf das Bataclan-Attentat schien wenig gelungen. Die japanische Deklamation, auch der japanische Chorgesang so viel eindringlicher als das peinliche Zwischenspiel eines braven (deutschen) Chors im letzten Akt.

Magischer Realismus in den Erzählungen von der Kindheit auf dem Lande, brachiale Symbolik wie aus rohem Fisch gebissene Stücke und das alles auf einem Himmelszelt als Bühnenuntergrund, eine blau gemalte Fläche mit goldenen Sternen, wie eine Kastendecke aus einem rinascimentalen Palazzo. »Wieso verschlingt uns die Erde nicht?« Weil sie schon im Himmel tanzten? Ein gran teatro del mundo im Himmel wie von Calderón, zwischen Gravitas und Gosse, wo Charlotte Gainsbourg am Beginn von Nymphomaniac zerschlagen aufgelesen wird.



2018-04-08
kurzkritik, theater, trilogía del infinito II

[1] https://www.schaubuehne.de/de/produktionen/find18.html
[2] https://www.schaubuehne.de/uploads/180226_SB-FIND18-Zeitung_FINAL.pdf