Schön die Exposition »Neolithische Kindheit«, dachte ich den Ankündigungen nach, radelte ins Haus der Kulturen der Welt und sah wenig: Buchdeckel in Vitrinen, Typoskripte hinter Glas; zugleich in einem der beiden Räume einen übertriebenen Aufbau, der die letztlich bloß lieblos gehängten Kunstwerke gegenüber an die Wand drückt. Blickt man sich um von dieser monströsen Galerie, wirken die Exponate in den Glaskästen nur noch verlorener in den Weiten des Walfischbauchs der Muschel ›HKW‹, diesem in den Ausstellungsräumen so lichtscheuen Gebau: So trübe wie die seit Jahren unverändert ausliegenden Exemplare in staubigen Schaukästen im gleichfalls überweiten Eingangsbereich der Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße.

Zum Rundgang zur Hand ein »Manual«, mit Bezeichnungen und Erläuterungen, ohne Abbildungen, fingerdick. [1] Bequemer wäre es wohl auf die Veröffentlichung des Katalogs zu warten, wo dann mutmaßlich Bild und Text in Konstellation gesetzt sind, und sich mit diesem auf das Dach des Hauses zu setzen und zu blättern. Denn zu Entdecken gäbe es vieles, mit Bedacht kommt die Suggestion wieder, jene des Untertitels »Kunst in einer falschen Gegenwart, ca. 1930«, jene des unvollendeten Handbuch der Kunst-Projekts Carl Einsteins, einer alternativen Erzählung der Kunstgeschichte des Menschen in allen Facetten, vom »Faustkeil« bis zu »Mickeymaus«. Und die Vorgeschichte ist dabei, zyklisch, Ausgang und Fluchtpunkt — »ca. 1930« —: »La préhistoire comme époque la plus importante.« So viele Diskurse und Interessensgebiete werden in den einzelnen Kästen aufgerufen und bleiben doch vielfach stumm; manche Filmchen flimmern, manche Bücher sind aufgeschlagen, manches war auch schon in den Ausstellungen Dada Afrika in der Berlinischen Galerie oder Kunst der Vorzeit im Gropius-Bau zu sehen.

Doch das ist schön: Fotografien von Brassaï und von Eli Lotar aus Paris, Kritzeleien der Graffiti-Serie, die Schlachthöfe von La Villette. Ein besonders schönes zeigt einen jungen Mann im Anzug auf dem Trottoir, der zu seinen Füßen einen Haufen Gedärme betrachtet, der eine interessante Form zeigt. Eine skulpturale Glubschigkeit, wie später die »Meat Pieces« von Paul Thek. Hier denke ich an die Schlachthof-Schilderungen in Berlin Alexanderplatz, an Ekel und Verachtung im Ton Louis-Ferdinand Célines — dessen Romandebüt hier fehlt, auch wenn es sich in einem der Kästen gut gemacht hätte, erschien die Reise ans Ende der Nacht doch 1932 und sorgte für Furore. War sein Argot nicht auch ein Stück neolithische Kindheit? André Massons Schwarz-Weiß-Federzeichnung Massacre. Raub der Sabinerinnen von 1933, die so modern wirkte wie von Jean-Michel Basquiat. Überhaupt könnte die neolithische Kindheit bei Basquiat weitergehen. Messerscharf, federhart, ritz ritzt die Gewalt und zugleich so klobig-unförmig wie aus bösen Träumen überhand; die Messer in den Pranken verwachsen, die Paarungen im Zeichen von Gewalt und Erniedrigung. Dann Klee, Klee geht immer, Starres und Bewegtes geistert (1929).

Und hinterher, im Auditorium, rütteln Goat — aus Osaka, nicht jene aus Schweden, ich war verwirrt — die Konnotationen wieder durch und zeigen wie ein Saxophon hier im Bauch des Walfischs seine Töne tuten, pressen kann und wie so ein Instrument auch perkussiv zu nutzen wäre.



2018-04-30
expokritik, neolithische kindheit

[1] https://www.hkw.de/media/de/texte/pdf/2018_1/programm_2018/neolithische_kindheit_manual.pdf