über Katy Perrys ›Chained to the Rhythm‹-Video
Als »an air of purposeful pop« hat Katy Perry ihre neue Single ›Chained to the Rhythm‹ in einem Kurzinterview auf dem roten Teppich bei den diesjährigen Grammy Awards beschrieben. Nach ›I Kissed a Girl‹-(bi-)curiosity, Hillary-endorsement und der sagenhaften ›Firework‹-Panzerszene von ›The Interview‹, in der sich James Franco und Kim Jong-un über gay-Zuschreibungen und Katy Perry austauschen (»I really like her cause she has such a strong message for young women and girls across the planet« - »It's so empowering«) und dann befreit geballert wird, nach diesen memorablen Momenten schwingt die Sängerin nun ausladend die message-Keule, wie shaved Britney vor zehn Jahren ihren Regenschirm. Ihr Subtext-wrecking ball (»I’m a little bit more the queen of subtext«; Katy Perry über sich) ist nicht aus Stahl gegossen, eher aus Zuckerguss als eine pastellfarbene ›Mega Jawbreaker‹-Lutschkugel, die schwingt wie die überdrehten Achterbahn-Katapulte in »Oblivia«, der Vergnügungsparklandschaft ihres ›Chained to the Rhythm‹-Videos. Da werden Menschen per Katapult über Grenzzäune repatriiert, baumeln krisengebeutelte Einfamilientraumhäuser im »Great American Dream Drop« (»symbolizing the housing crisis with people getting evicted because they can't make their mortgage payments« weiß ein Kommentator), wuselt pastellfarbener Hausfrauen-Plastik-Chic der 50er, schockt-lockt das Space Age und die Zuckerwatte in Atompilzform. An der Tankstelle, wo es Wasser statt petrol gibt, tanzen Matrosen direkt vom ›V-J Day in Times Square‹. Die rhythmisierten Choreographien der Parkbesucher erinnern an von Chaplin in ›Modern Times‹ parodierte Produktionsphantasien am Fließband. Kollidierend mit Gegenwartssigna (lens flare, emoticons, selfie) gibt das eine poppige Mischung zwischen ›Toys ”R” Us‹-Ramsch und retro-chic. Nein, es ist alles ein Schwindel, it's all fake, fürchte ich, wie dass aus Katy Perry im ›Barbarella‹-Outfit im close-up aus der Barbara Schöneberger-Maske jederzeit Erika Steinbach herausbrechen könnte.
Dieselbe Ambivalenz in der Szenerie, die zwischen 50s-throwback und diffusem Gegenwartsspektrum hin und herklatscht: zwischen ›Wizard of Oz‹, Roald Dahl und Expo 58/62/67 im Update als frühe PC Games wie ›Holiday Island‹, ›RollerCoaster Tycoon‹ und ›Tropico‹, aus den Zeiten als das Internet noch Neuland und eine Verheißung war wie ›Second Life‹ und die ›Sims‹ 2003. Das anhaltende Revival des 3D-Kinos, das seine ›goldene Ära‹ Anfang der 50er hatte, scheint David Edgertons These von den shortcomings einer innovationszentrierten Technologiegeschichtserzählung zu stützen. Doch dann bricht Skip Marley, Enkel von Bob Marley, als rastafari ex machina für eine Strophe in die heile Welt, coming in handy wie usurpierte (von ›Usus‹!) »creole technologies«, wie ein frühneunzeiglicher Hacker. Als Update von Sean Paul, dem kreolen/Jamaikaner (E. Glissants Die Kreolisierung der Welt, 2009), der 2003 während des Irakkriegs mit ›Get Busy‹ die Dancehall-Kultur aufs Tapet brachte und 50 Cents ›In Da Club‹ von der Chartspitze verdrängte (Der Titel ›God Bless The U.S.A.‹ der American Idol Finalists war da schon aus den Top 10 gefallen). Nun, Skip Marley entsteigt dem framing des TV sets, besingt in seinem part einstürzende Mauern, den Wunsch zur Verbundenheit (»to connect, inspire«) und den Zorn gegen die Mächtigen und läutet das Ende des amerikanischen Zeitalters ein (»Time is ticking for the empire«). Es kann sein, dass Katy Perry erst der Schreck in ihre Glieder gefahren war bei seinem Auftauchen auf dem Bildschirm, weil er unscharf auch als ihr Exmann Russell Brand durchgehen könnte. »Aren’t you lonely/Up there in utopia«, hatte Katy Perry eingangs noch etwas zaghaft gefragt, nun erschallt es retour: »we about to riot«, fast wie in der ›Tribute von Panem‹-Protestgeste, die den Sprung vom big screen zur street scene geschafft hat, ja bei Antiregierungsdemonstrationen in Thailand aufgegriffen wurde. Aber, mal eine Frage, müssen wir uns nicht den Menschen im Hamsterrad als einen glücklichen Menschen vorstellen? Als jemand, der zwischen »Stumbling around like a wasted zombie« und ›Spring Breakers‹-Partydasein wieder fit wird, fokussiert und in der Spur?
Angekettet, festgemacht ist in diesem ›Ping-Pong-Spiel‹ eines bubblegum pop gems gar nichts: »Die Genialität des Refrains besteht darin, dass sich die Worte ›to the rhythm‹ sechs Schläge lang irgendwie triolisch, aber im Grunde noch freier vom Dancehall-Beat lösen, über ihm herumeiern und taumeln, sprich: paradoxerweise ist der Refrain eben nicht, wie er behauptet, sklavisch an den Maschinenrhythmus gekettet«, schreibt Jan Kedves in der SZ. Auch dieser »purposeful pop«-deklarierte tune ist also, happily, »good old Katy Perry fluffy stuff«. 08-03-2017