über Der Hauptmann (2018, Regie: Robert Schwentke)
Der Film Der Hauptmann ist eine Farce; verstörend und in dieser seiner verstörenden Wirkung zu problematisieren. Wie das? Zum einen ist er so glatt-geschichtslos und superfiziell wie im letzten Jahr schon Christopher Nolans Dunkirk; nur Bilder, front(-end), keine Rückseite, keine (selbstreflexive) Offenlegung oder Dekonstruktion (full disclosure, making of), keine Einsicht. Ein Bruch, eine Tiefe tut sich im Hauptmann nur an zwei Stellen auf, jeweils mittels eines Bezugs zur Gegenwart: das erste Mal, als eine Farb-Einstellung des abgeernteten Ackers zu sehen ist, auf dem bis Kriegsende 1945 das Emslandlager ›Aschendorfermoor‹, im Film ›Lager II‹ genannt, stand; das zweite Mal im Abspann, als der Wagen mit der Aufschrift ›Schnellgericht Herold‹ durch Görlitz im ›Jetzt‹ fährt. Diese letzte Szene, die Hauptdarsteller in NS-Uniformen, im Cabriolet vom Görlitzer Bahnhof die Berliner Straße ›entlangcruisend‹, grüßend, feixend, am Stadtplatz dann dem Auto entsteigend und Statisten drangsalierend, das erinnert an K.I.Z.-Musikvideos und an den Er ist wieder da-Klamauk, den ich nie verstanden habe. Und was, wenn jemand vom Straßenrand mit erhobenem Arm zurückgegrüßt hätte? Im letzten Sommer, in der Oberlausitz, erinnere ich mich an die NPD-Wahlplakate in den Ortschaften, die dort weitestgehend konkurrenzlos hingen, und an die Bahnhofsbuchhandlung in Görlitz, die die Zeitschrift Compact prominent platziert hatte. Gar nicht so abwegig also!

Das historische Sujet – der Fall ›Willi Herold‹ des flüchtigen Gefreiten, der erst in den Mantel des Hauptmanns und dann in dessen Habitus schlüpft, diesen forciert, auf die Spitze treibt, ja ihm vielleicht auch, mit seiner Entourage durch die letzten Kriegswochen fouragierend, gleichsam gewaltsam die Spitze brechen möchte, ein Himmelfahrtskommando – diese historische Vorlage, ist nur dünnes Papier, Kostüm wie der Mantel, denn der Film bleibt ganz erfahrungslos-gegenwärtig. Der Dreh könnte jederzeit hinüberwechseln zum Set von Wir sind jung, wir sind stark, nur ein weiterer Kleiderwechsel, bezugslos wie in Musikvideos.

Auch schauspielerisch bleibt Der Hauptmann ausdruckslos; Mimik wie bei Fifa. Hauptdarsteller Max Hubacher sagt Sätze auf, Frederick Lau torkelt fremd durch den Film als wäre er mit dem Kopf noch bei Victoria, auch wenn er Gefangene totprügelt. Verstörend, ja, aber ist das nun eine Stärke des Films oder einfach nur schockierend? Keine Darstellung von Geschichte, auch keine Suggestion – was ja vielleicht auch so falsch nicht ist –, in diesem Sinne mehr Die Welle als Fury oder sonstwelche reinszinierte War-Mimikry. Das ›Heroldkommando‹ als Gegenstück zu Brad Pitts Bande in Inglorious Basterds? Natürlich überzeichnet der Regisseur willentlich, doch manchmal, mittendrin, hielt ich den Film für total verunglückt – und dadurch für so verstörend (und bedenklich): Konnte man diesen Film nicht wirklich erst 2017 drehen (20 Jahre habe der Regisseur an diesem Filmprojekt gearbeitet, heißt es)? Und, wenn ja, was sagt das aus über die Gegenwart? Wie wäre also der Film selbst (einmal) zu historisieren? So wie das heute wieder ganz spannend möglich ist mit dem DEFA-Film Ich war neunzehn (1968), der das Vorrücken der Roten Armee durch brandenburgische Provinz zeigt und dabei einem jungen sowjetischen Leutnant folgt, der 1933 mit seinen Eltern aus Deutschland geflohen war. [1]

Die durchexerzierte Schwarz-Weiß-Ästhetik, die Gewalt, das wirkte für mich wie ein Zwischenstück aus einem Kriegsspiel für die Spielkonsole, kurz eingeblendet um die ›Handlung‹ voranzubringen bevor die Kamera wieder in die Third-Person-Shooter-Perspektive wechselt. Ist dies nicht eine ›bipolare Störung‹ von fehlendem Tiefgang und an die Hand gegebenem engagement (als Entertainment)? Natürlich, dies ist ein Spielfilm, und Videospiele sind auch nur lose inspiriert von historischen Ereignissen, doch ›handhaben‹ beide Genres ›Geschichte‹ und ›vermitteln‹ sie auch in einem gewissen Sinne. Ich denke daher – ohne zu kulturkritisch sein zu wollen –, dass der Aspekt der Geschichtsvermittlung und -verarbeitung in diesem Zusammenhang einfach anfällt. Die mediale Verfügbarkeit von ›Geschichte‹, oder eher: von einzelnen Bildern und Tropen losgelöst von ihrem historischen Kontext, ist zu problematisieren. Sie macht eine bessere Schulung im medialen Leben und Erleben erforderlich, die das ›Hinterland‹, die ›Tiefe‹ hinter dem screen, dem immer wieder als ›flach‹ zu denkenden Internet, auftun und explorieren muss. Fast wie die einfache Verfügbarkeit – und Bedienbarkeit! – von Waffen in den Vereinigten Staaten dem Terror einzelner immer wieder Vorschub zu leisten scheint, so sind es doch auch medial ohne historische Rückbindung kursierende Versatzstücke (Bilder, Zitate) – etwa fake news amalgamiert aus Stereotypen und Suggestion –, die für verbale und nonverbale hate crimes zupasskommen.

Wie hätte es nun besser sein können mit dem Hauptmann? Vielleicht, wenn in den Gewaltszenen einmal das Bild ganz schwarz geworden wäre – alles schwarz und Schweigen –, als ein Moment der Distanz, des Nichtzeigens, auch ohne Ton. Wenn die Tonangel, wiederum, einmal in den Bildausschnitt geragt hätte, vielleicht auch von einem Darsteller zurückgestoßen oder aufgegriffen. Wenn die Tennissocke des Wehrmachtsstatisten unter der Uniform zu sehen gewesen wäre. Wenn das Intro aus Jesus Christ Superstar – der Bus mit den Darstellern fährt ein in die Wüste, sie entsteigen diesem und das Spiel beginnt – (konsequenter und nicht nur im Abspann) zitiert worden wäre. Oder, finally, wenn der Film zwei, drei (angedeutete) Volten mehr gehabt hätte. Möglich aber auch, dass hinter dem Dröhnen der Soundeffekte, dem Schlussblick auf das Totenfeld im Wald eine sublimere Bildsprache zu entdecken gewesen wäre, die ich nicht sah. 24-03-2018

[1] http://cinema.arte.tv/de/artikel/ich-war-neunzehn-von-konrad-wolf-0